Lob der Einsamkeit

 

Wenn endlich alle Stimmen verstummen:
die rauen, Unheil raunend;
die sinuskurvenähnlichen, das Leid der Welt besingend;
die lauten mit all ihren scheinbaren Sicherheiten;
die süßen, jeden in ihr Netz einspinnenden;
die schnellen mit ihrer Hoffnung, durch Geschwindigkeit Sinn zu gründen;
die trägen, alle und jeden einschläfernden;
die auf jeden Wortes erster Silbe betonten, menschenfängerischen.

Wenn aber auch die hellen und warmen, freundlichen, liebevollen, welche Wachstum, Stärke und Wärme zu geben vermögen, ruhig werden.

Wenn sie alle endlich die Stille zu Wort kommen lassen. Die Welt sich selbst eröffnen darf und Einsamkeit ihren kostbaren, gut behüteten Nektar vorsichtig preiszugeben bereit wird: echte eigene Gedanken, echte Überzeugungen, echtes Begreifen des Selbst. Und wenn endlich auch das Selbst zu schweigen beginnt und Zeit für das Erleben dessen sich eröffnet, das hinter all dem steht.

Wenn endlich das Lärmen der Welt hinter das Reden der Stille treten kann. Gottesbegegnung möglich wird. Wenn wir es tun, die Maschinen der Sprachreproduktion abschalten, das Tönen der Menschheit verhallen, sogar die Musik verklingen lassen, das Buch zuschlagen, vielleicht nur mit Zettel und Stift bewaffnet, die leise Nacht betrachten und warten, was die Stille uns zu sagen hat.

Wann, wenn nicht jetzt im globalen Herunterfahren des Gewusels, besteht die Chance, sich selbst ins Gesicht zu sehen, seinem Schöpfer zu begegnen und ins Reine zu kommen. Was war, was ist zu sehen, was sein wird Raum gewinnen lassen.

Welch dramatisch lebensbewegende Zeit, in Einfachheit gewonnen, spannender als jede Weltumseglung: Die Reise in die Wahrheiten des eigenen Seins beginnt. Wo Wachstum möglich wird, wo alles heilen kann, Neues wächst, der Boden der Liebe bearbeitet sein will für die neue Begegnung am morgigen Tag, an dem wir die alten Freunde und Feinde ganz neu umarmen können.

 

 

 

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