Gerüche
Ich dachte immer, dass ich nicht gut rieche. Also, nicht, dass ich schlechte Gerüche verbreiten würde, sondern dass mein Geruchssinn nicht so ausgeprägt sei. Aber immer öfter werde ich mit Düften konfrontiert, welche zwar als Wohlgeruch käuflich erwerbbar sind, im richtigen Leben jedoch eher gegenteilig wirken. Darunter sogar solche, welche mich, der ich nicht unter Asthma leide, unter Atemnot zwingen das Haus zu verlassen, was mir das Attribut „empfindlich“ einbrachte – eigentlich ein Kompliment.
Unlängst kam ich einem Menschen zu nah, ich gebe es zu, ob des schmalen Durchgangs die Abstandsregeln für ca. drei Sekunden ignorierend, weil mir freundlich die Tür aufgehalten wurde, was mir dazu verhalf, die Hände nicht desinfizieren zu müssen, weil ich die Klinke nicht anzugreifen brauchte. So ging ich relativ knapp an ihm vorbei und tauchte durch eine Geruchswolke. Die haftete mir dann an. Erst drei Stunden später hörte ich auf, für Beobachter komisch wirkende Geruchskontrollen an meiner Kleidung durchzuführen. Mein sonst wenig ausgeprägtes Mitleid für Hunde und Katzen mit ihren feinen Nasen, regte sich.
Seitdem frage ich mich, was mir der freundliche Herr mit seiner Wolke wohl sagen wollte. Denn kommt ein Versicherungsvertreter in die Nähe meiner Nase, rieche ich den Braten sofort. Immer das gleiche penetrante süßliche Gedufte, vermutlich mit der Berufsehre unergründlich verbunden. Aber hier? Natürlich war es ein zufälliges Aneinandergeraten, ich also nicht das Ziel des Angriffs. Jedoch, wer solches verbreitet, muss doch Kollateralschäden in Kauf nehmen, also verantwortlich zeichnen, wie es der heutige gute Ton in perversen Denkweisen verlangt, zumindest einen Bekennerbrief verfassen.
Oder sollte ich ihm zugutehalten, dass er als männliches älteres Semester vielleicht selbst nicht mehr ganz Herr dieses einen Sinnes gewesen sei, mich nur süßlich von ganz anderen olfaktorischen Offenbarungen verschonen wollte, die dabei gewesen wären, mir drohend meine eigene Zukunft unter die Nase zu reiben? Solche lassen einen länger als nur drei Stunden nicht in Ruhe, sich auch nach Jahren noch als Erinnerungen aufrufen. Wären sie menschlicher und somit vielleicht freundlicher gewesen?
Vieles könnte ich also unterstellen. Doch interpretierte mein Körpergedächtnis nur eines: Flucht. Trauert mein Kulturverständnis darüber, wie leicht wir doch den Werbefritzen auf den Leim, in Folge unseren Mitmenschen auf den Nerv gehen.
Und ich erkenne worüber ich gelesen, aber worin ich aufgrund kulturell bedingt erlernter Ignoranz nie gelebt habe, dass nämlich Geruchsbotschaften Kommunikation sind und eine deutliche Sprache sprechen können. Da frage ich mich, wer alles mir wohl sonst noch etwas eingeredet – besser: eingeduftet haben könnte.
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