Die Aporie

 

Seit ich sie entdeckt habe, liebe ich sie

Man hat mich gelehrt, dass eins und eins zwei wäre, dass alles sich erklären ließe, dass der einzige Sinn des Widerspruchs darin liege, ihn aufzulösen, dass die Welt in allem eine mathematisch erklärbare sei.

Zum Glück aber wurde ich mit Literatur aus völlig anderen Kulturkreisen konfrontiert, Kulturen, welche den unauflösbaren Widerspruch als hohen Wert der Auseinandersetzung und des Lernens schätzen. Da mir das fremd war, erkannte ich es anfänglich nicht und stolperte darüber. Eine der ersten, die mich in meiner widerspruchslosen Welt aufzurütteln versuchten, war eine Aporie des Neuen Testaments, in welcher der Freie Wille des Menschen neben einem allm

ächtigen Gott steht, der alles bewegt, trägt, erhält und damit auch bestimmt, gleichzeitig liebt und uns alle Entscheidungsfreiheit lässt. Vergeblich sucht der Leser, so er solches nicht naiv als Narrheit verwirft, nach der Antwort, was von den zweien nun sein Leben bestimmen würde, bleibt gezwungen, in beidem zu leben.

Und so war ich schon auf dem Weg, ein Widerspruch nach dem Anderen stellte sich mir vor. Erst noch als Stolpersteine, bis endlich einer das alte, uns selten gewordene Wort mir schenkte: Die Aporie. Seit ich dieses Wort für mich habe, wurden mir die Stolpersteine zu wertvollen Lehrstühlen.

Sei es der Mensch, der als lebendiges Wesen den Tod in sich trägt. Sei es die Liebe, die sich kompromisslos binden möchte und nur darin bestehen kann, dem/der Geliebten alle Freiheit zu schenken. Unsere Sehnsucht nach völliger Freiheit, welche der nach Sicherheit widerspricht, unser Recht auf Leben, welches manchmal den Tod fordert. Auch das Recht auf Selbstbestimmung in einem Gemeinwesen und vieles mehr, wodurch das Entweder-Oder aus dem Denken gezwungen wird und endlich das Sowohl-Als-Auch Einzug nehmen kann, sich zwischen den sich widersprechenden Polen Spannungsfelder auftun, in denen es sich lohnt zu leben.

Seitdem verstehe ich, warum ich mich vor denen, welche mir allzu schnell die Widersprüche aufzulösen suchten, die Welt erklären mochten, schon immer gehütet habe. Kaum wähnte ich mich durch sie in sicherem Raum, die Wände des Seins fest, so entschwand mir mit den scheinbar geklärten Gegensätzen auch meine Freiheit, die Wände der Ideologien starr.

So löse mir keiner meine Aporien auf!

Denn aus dem Begreifen der Widersprüche entstehen Wahrheiten, welche Gegensätze tragen können wie uralte Brücken aus gehauenen Steinen, erwachsen Gespräche, welche befruchten.

HINTERGRÜNDE 

 

1 Kommentar zu „Die Aporie

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